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Warum es nicht reicht, Veganer zu sein
Bewusster Konsum

Warum es nicht reicht, Veganer zu sein

Seit fast sieben Jahren lebe ich vegan. Obwohl meine Entscheidung für den Veganismus eine der besten meines bisherigen Lebens war, kann ich mich seit einiger Zeit nicht mehr darüber definieren. Ein Plädoyer für mehr Bewusstsein.

Ich bin weder als Veganerin oder Vegetarierin noch als Minimalistin auf die Welt gekommen. Tatsächlich führe ich erst seit gut sieben Jahren bewusst ein umweltfreundlicheres Leben. Als ich vor fast neun Jahren in der Fastenzeit vor Ostern auf Fleisch verzichtete und danach einfach so weiter machte, tat ich das für mich. Ich vermisste nichts und fühlte mich gut, weil ich wusste, dass jetzt keine Tiere mehr für mein Essen sterben würden, aber ansonsten beschäftigte ich mich mit dem Thema nicht.

Veganismus für alle?

Zwei Jahre später kam ich durch meine Schwester auf das Thema Veganismus. In einer einzigen Nacht schaute ich Dokumentarfilme und las so viel über die Folgen, die der Konsum von tierischen Produkten für die Umwelt, unsere Gesundheit, die globale Verteilung von Lebensmitteln und natürlich die Tiere selbst hat, dass ich wusste, ich würde tierische Produkte nie wieder so unbeschwert genießen können wie bis zu diesem Zeitpunkt. 

Veganismus für alle?

Meine Familie und Freunde bekamen das natürlich mit. In den kommenden Monaten und Jahren versuchte ich ein paar Mal, einigen von ihnen die Augen zu öffnen, hatte dabei jedoch selten großen Erfolg. Auch weil ich insgeheim wahrscheinlich trotzdem noch gemocht und nicht als radikale Veganerin abgestempelt und gemieden werden wollte. Deswegen beschränkten sich meine „Konvertierungsversuche“ auf mitgebrachtes veganes Essen oder gemeinsame Besuche in veganen Cafés oder Restaurants. Trotzdem definierte ich mich von da an größtenteils über meine Ernährungs- und Lebensweise.

Veganismus ist nicht alles

Frisches Gemüse

Obst und Gemüse lassen sich auch unverpackt einkaufen

Vor etwas mehr als zwei Jahren bekam ich das Gefühl, dass ich mich trotz meiner veganen Lebensweise eigentlich nicht als umweltfreundliche Person bezeichnen konnte. Wieder waren es Dokumentarfilme, Artikel und Bücher, die mir die Augen öffneten: diesmal in Sachen Müll. Als meine heile Welt aus Tofu in Plastikverpackung und eingeschweißten veganen Würstchen zusammenbrach, stand ich vor einem Haufen aus (Plastik-)Scherben. Ich fing an, Obst und Gemüse lose zu kaufen und wurde Stammkundin im Unverpackt-Laden, stellte meine eigene Pflanzenmilch her, kaufte Kleidung nur noch Secondhand und wurde bei Foodsharing aktiv. Und obwohl ich meine Mitmenschen immer wieder auf die Problematik unseres verschwenderischen Konsums aufmerksam machte und für Zero Waste warb, sah ich die Vorteile eines minimalistischen Lebens doch vor allem bei mir als global betrachtet.

Während meines einjährigen Praktikums in Indien sah ich dann, welche Auswirkungen unsere westliche Lebensweise in anderen Teilen der Welt, in die wir unseren Müll exportieren, hat. Ich fand zur veganen Rohkost, fing mit dem Barfußlaufen an und fühlte mich am freisten, wenn ich auf langen Fahrradtouren oder beim Backpacken frische Bananen und Mangos in meinem kleinen Rucksack hatte. Seit ich selbst erfahren habe, wie schön ein einfaches Leben sein kann, und auch selbst so lebe, fällt es mir leichter, andere Menschen für meine Lebensweise zu begeistern — und das ganz nebenbei, ohne dass ich das wirklich beabsichtigen würde.

Zwischen zwei Extremen denken

Plastikmüll

Als mir bewusst wurde, welch Unmengen an Müll wir verursachen, widmede ich mich dem Thema »Zero Waste«

Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass die wenigsten Menschen in jeder Hinsicht umweltfreundlich und nachhaltig (oder auch nicht) leben. Aus diesem Grund stelle ich mir lieber eine Skala vor, auf der ich mich selbst oder andere Menschen einordnen kann. Oder gleich mehrere Skalen, denn wer seinen Plastikmüll schon drastisch reduziert hat und mit dem Bus statt dem Auto zur Arbeit fährt, isst vielleicht immer noch Fleisch. Auf diese Weise schaffe ich es nicht nur, Fortschritte bei anderen Menschen zu sehen anstatt lediglich den Fleischesser oder Müllproduzenten, sondern auch mir selbst zu verzeihen, dass ich auch nicht immer zu 100 Prozent vegan und umweltfreundlich lebe. So besitze ich ein paar Kleidungsstücke und Schuhe aus Wolle beziehungsweise Leder, ich fliege aus Bequemlichkeit mit dem Flugzeug, wenn mir die Alternative zu umständlich ist, und ich kaufe importiertes Obst und Gemüse, wenn ich es nicht über Foodsharing bekommen kann, obwohl ich auch gut darauf verzichten könnte.

Gleichzeitig wünsche ich mir, ich hätte bestimmte Dinge schon früher erkannt, indem mir meine Mitmenschen einen Spiegel vorgehalten hätten: meine Mutter, die schon lange vor mir Vegetarierin war; meine Schwester, die nicht mit mir diskutiert hat, als ich behauptete, Milchkonsum wäre natürlich; andere Menschen, denen die Unmengen an Plastik bei meinen Einkäufen vielleicht aufgefallen sind, weil sie selbst in dieser Hinsicht schon weitergedacht haben, die aber nichts gesagt haben. Aus diesem Grund will ich in Zukunft häufiger mit anderen Menschen über eine nachhaltige Lebensweise sprechen: nicht nur über ihre, sondern auch über meine eigene. Ohne dabei Vorwürfe zu machen, sondern indem ich Alternativen aufzeige, um zum Nachdenken anzuregen. 

Wie wir mit unserem Kaufverhalten mehr Nachhaltigkeit erzwingen können

ecowoman

Damit keine Tiere mehr für mein Essen sterben müssen, entschied ich mich für den Veganismus

Wir sollten uns klarmachen, dass wir viele Entscheidungen unbewusst treffen und oft nur das imitieren, was uns als „normal“ vorgelebt worden ist. Deswegen hoffe ich, dass meine Mitmenschen mich ebenfalls auf Widersprüche in meiner Logik aufmerksam machen, damit ich meine Lebensweise weiterhin überdenken und verändern kann. Niemand von uns ist perfekt, aber wir können jeden Tag dafür nutzen, unser Leben ein bisschen umweltfreundlicher zu gestalten. 

Obwohl ich nach wie vor der Meinung bin, dass jeder einzelne von uns über seinen Konsum bestimmen dürfen sollte, sollten wir nicht vergessen, dass wir mit jedem Einkauf über die Welt abstimmen, in der wir zukünftig leben wollen. Unser Kaufverhalten erzeugt eine Nachfrage nach bestimmten Produkten, was für nachhaltige Produkte ebenso gilt wie für solche, die der Umwelt, unseren Mitmenschen oder Tieren schaden. Egal ob Massentierhaltung, Glyphosat oder Mikroplastik: Wir sollten aufhören, die Verantwortung, die wir gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft haben, an Politiker abzugeben. Stattdessen sollten wir uns immer wieder fragen, in welchen Bereichen wir selbst mehr machen können, und den Mut haben, unsere Lebensweise kritisch zu betrachten.

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Quellen: Bilder: Unsplash/Kyson Dana, Jannis Brandt, Alex Abossein, Kylee Alons; Depositphotos/ginasanders, Text: Annika Klein