So essen wir in Zukunft
Wie werden wir in Zukunft essen? Was verändert sich, was bleibt gleich? Wir haben den Trendforscher Sven Gábor Jánszky nach den Food Trends 2017 gefragt – das sind seine Prognosen für Superfood, vegane Ernährung und Steaks aus dem 3D-Drucker.
Der Jahresbeginn ist immer wieder ein guter Anlass, um nicht nur zurück-, sondern auch nach vorne zu blicken. Für Menschen wie Sven Gábor Jánszky gehört das sogar zum Geschäft. Der 44-Jährige ist Trend- und Zukunftsforscher, sein Job ist es, aktuelle Entwicklungen einzuschätzen und Prognosen für die nahe Zukunft abzugeben – auch in Sachen Ernährung. Bei ecowoman spricht Jánszky über die Trends für das Jahr 2017 und darüber hinaus.
Der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky wagt Prognosen über die Ernährung der Zukunft.
ecowoman: Herr Jánszky, wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Welche Entwicklungen erwarten uns 2017 und in den folgenden Jahren?
Sven Gábor Jánszky: „Eins vorweg: Unser Essen wird in zehn Jahren nicht anders aussehen und schmecken als heute. Was sich aber verändern wird, sind die Methoden zur Herstellung von Lebensmitteln und die „Rohstoffe“, aus denen bestimmte Produkte bestehen. Ich bin ziemlich sicher, dass „Schokolade aus dem Drucker“ und „Kunstfleisch“ in den nächsten Jahren zur Normalität werden.
Aktuell gibt es zwei wesentliche Trends, denen unsere Ernährung folgt. Da ist zum einen die industrielle Herstellung knapper Nahrungsmittel wie etwa „gedruckter Steaks“. Die werden hergestellt, indem tierische Gewebezellen zunächst massenhaft geklont und dann durch einen 3D-Drucker, den sogenannten Bioprinter, zu einem Steak ausgedruckt werden. Aktuell ist dieser Vorgang noch sehr teuer, aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Kosten bald rapide sinken. Firmen, die heute darein investieren, gehen davon aus, dass gedruckte Steaks schon in ein paar Jahren viel billiger sind als „natürliche“ Steaks. Dieses industriell erzeugte Fleisch könnte dazu beitragen, die neuen Bedarfe in Asien und Afrika zu decken.
Der zweite Trend heißt „Functional Food.“ Wir Menschen werden unsere Nahrungsmittel in Zukunft immer seltener wegen ihres Geschmacks und viel häufiger wegen ihrer Zusatzfunktionen essen. Das können etwa gesundmachende Wirkstoffe sein, die auf natürlichem oder künstlichem Weg in bestimmten Nahrungsmitteln landen. Was dahinter steckt, ist eigentlich logisch: Wir Menschen wollen uns nach Krankheiten nicht mühsam mit Medikamenten wieder aufpäppeln müssen. Nein, wir wollen gar nicht erst krank werden – ein Bestreben, das die medizinische Nahrung uns ermöglichen wird. Die Entwicklungen laufen bereits auf Hochtouren: Die großen Nahrungsmittelkonzerne investieren kräftig in den Trend des „Medical Food“, bei dem die Pharma- und Food-Branche gewissermaßen zusammenwachsen.“
ecowoman: Functional Food, Medical Food – wie geht es denn mit dem in den vergangenen Jahren allgegenwärtigen „Super Food“ weiter?
Sven Gábor Jánszky: „Da wird noch einiges passieren! Wir Zukunftsforscher gehen davon aus, dass der große Durchbruch des Super Food noch bevorsteht. Und zwar deshalb, weil der Konsum sogenannter Super Foods bisher eine ideologische Frage ist. Weil sich deren Erfolge nicht wirklich messen lassen, werden sie heute nur von den Konsumenten gekauft und gegessen, die wirklich daran glauben. Die Zielgruppe ist also noch relativ klein.
Zukunftsforscher gehen davon aus, dass der große Durchbruch des Superfood noch bevorsteht.
Die Verschmelzung von Food mit den Auswirkungen der Digitalisierung, konkret mit intelligenten digitalen Assistenten auf dem Smartphone, wird zu Veränderungen führen. Der Trend, den menschlichen Körper im alltäglichen Leben zu „vermessen“, also etwa die täglichen Schritte zu zählen oder die Herzfrequenz zu messen, wird weiter zunehmen und tiefer in den Körper hineingehen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis mein Smartphone oder Badezimmerspiegel mir nach dem Aufstehen sagt: „Sven, Du bist heute zu 18 Prozent krank!“ Und die Empfehlung zur Wiederherstellung des Normalzustands wird auf dem Fuß folgen: „Iss heute die Produkte X und Y oder den Wirkstoff Z, dann bist Du morgen nur noch zu 13 Prozent krank!“
Diese Entwicklung zeigt sich heute schon in den Laboren der Nahrungsmittelkonzerne und der Mediziner. Noch vor dem Jahr 2020 wird die komplette Sequenzierung einer menschlichen, individuellen DNA weniger als 100 US-Dollar kosten. Menschen werden also Speichelproben einschicken und eine Datei zurückbekommen, in der unter anderem steht, welche Krankheiten in ihren Genen angelegt sind. Noch wichtiger ist allerdings, dass die Datei Hinweise darauf enthält, mit welchem Bakterienmix ich verhindern kann, dass diese Krankheiten ausbrechen. Die Differenz zwischen dem Idealzustand und dem aktuellen Zustand in meinem Körper, die mein Handy Tag für Tag errechnen kann, wird als Bakterien- oder Wirkstoffcocktail in unser tägliches Essen hinein gedruckt. Das kann entweder per 3D-Essensdrucker in der eigenen Küche oder aber im Supermarkt geschehen. Was nach technischen Spinnereien klingt, ist nur allzu real, denn die technische Entwicklung ist schon lange auf dem Weg. Wie groß ihr Erfolg letztlich sein wird, hängt davon ab, wie viele Menschen ihrem Smartphone glauben und sich danach verhalten werden.
Ich persönlich glaube, es wird als Nischenentwicklung beginnen, dann aber sehr schnell zunehmen, denn die Optimierung des eigenen Körpers, die Erhaltung der Jugend, ist schon seit jeher ein großes Bedürfnis der Menschheit. Und wenn uns die Nahrungsmittelindustrie dann verspricht, dass wir dieses Bedürfnis billig, schnell und ohne Nebenwirkungen mit dem täglichen Essen stillen können, dann ist dies für beide Seiten, also sowohl für die Konsumenten als auch die Industrie eines der größten Geschäfte der kommenden Jahre.“
ecowoman: Stichwort Digitalisierung: Schon heute gibt es jede Menge Anbieter von Online-Kochboxen, die Zutaten und Rezepte ins Haus liefern. Werden wir unser Essen in Zukunft nur noch im Internet bestellen?
Sven Gábor Jánszky: „Im Economy- und im Massen-Segment? Ja. Im Premiummarkt? Definitiv nicht. Um eine Prognose über die Zukunft des Essens wagen zu können, müssen wir die drei grundlegenden Treiber der Menschen bei der Auswahl ihres Essens verstehen.
Der erste Treiber ist ein niedriger Preis beziehungsweise ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Hier sprechen wir vom Economy-Segment, in dem die Menschen ihre alltäglichen Kaufentscheidungen anhand der Frage treffen, was sie bezahlen möchten – das Kriterium übrigens, nach dem die meisten Menschen entscheiden. Der Online-Sektor wird hier in Zukunft eine ganz wichtige Rolle spielen, allerdings nicht in Form von Kochboxen.
Den zweiten Treiber bezeichnen wir Zukunftsforscher als „Identitätsmanagement“. In diesem Segment bewegen sich die Käufer, die sich ganz bewusst von der Masse unterscheiden wollen und sich das auch leisten können. Für diese Menschen sind Nahrungsmittel ein Weg, anderen Menschen und ihrem eigenen Ego zu beweisen, dass sie besonders sind: Besonders öko, besonders heimatverbunden, besonders vegetarisch, besonders vegan… Es handelt sich um das Premium-Segment, in dem die Menschen deutlich mehr Geld in Nahrungsmittel investieren, weil diese nicht nur für die Ernährung, sondern vor allem fürs Identitätsmanagement da sind. Online spielt hier kaum eine Rolle, denn die Menschen können ihre ökologische Identität natürlich viel besser beweisen, wenn sie einen lokalen Bioladen aufsuchen. Dieser ist sogar ein wesentlicher Teil des Identitätsmanagements. Der Anteil des Premium-Segments ist in Deutschland und ähnlich reichen und saturierten Gesellschaften relativ groß: bis zu 20 Prozent.
Den dritten Treiber kennen wir als „Convenience Food“. Es geht hier um Nahrungsmittel, die sich nahtlos in das schnelle Leben einpassen, ohne dass zusätzlich Zeit fürs Kochen investiert werden muss. Die Kochboxen sind ein gutes Beispiel, aber noch lange nicht das Ende der Entwicklung. In Zukunft wird das Convenience Food noch durch weitere nützliche Funktionen ergänzt werden und es werden Nahrungsmittel entstehen, die ihren Essern versprechen, sie gesund, leistungsfähig und schön zu machen – womit wir wieder beim „Functional Food“ oder „Super Food“ wären. Wir Zukunftsforscher erwarten, dass dieser Bereich innerhalb weniger Jahren zum größten Segment, also zum Massensegment wird.
Die meisten Menschen wechseln zwischen den verschiedenen Segmenten, kaufen die Standard-Lebensmittel im Discounter ein, gehen aber für einige ausgesuchte Dinge in den Bioladen. Man könnte auch sagen: Im Discounter decken wir unseren Nährstoff- und Energiebedarf, im Bioladen managen wir unsere Identität. Wir zeigen also durchaus gerne mal, wie öko wir sind; in der Summe kaufen wir aber immer noch hauptsächlich im Massensegment ein.
Dieser Trend des Identitätsmanagements ist nicht neu. Er erinnert etwa an die Kampagnen für fairen Kaffee um die Jahrtausendwende? Fair gehandelter Kaffee wurde damals zum großen Trend ausgerufen. Heute gibt es natürlich durchaus fairen Kaffee, aber er wird vorzugsweise aus teuren Luxusmaschinen getrunken. Die meisten Menschen trinken weiterhin ganz normalen Filterkaffee, befinden sich also im Massensegment, während es sich beim fairen Kaffee eindeutig um ein Premiumsegment handelt. Zwischen diesen beiden Bereichen ist ein drittes Segment von portioniertem Kapselkaffee entstanden, der zwar teuer und unökologisch, aber individuell und adaptiv ist. So ähnlich wird es auch bei den anderen Nahrungsmitteln geschehen.“
ecowoman: Lassen Sie uns zum Schluss über das Thema Fleisch sprechen. Hat das Fleisch in Zukunft ausgedient? Werden wir letztlich doch alle Vegetarier?
Sven Gábor Jánszky: „Die Fleischfrage entbehrt nicht einer gewissen Schizophrenie. Neulich gab es in einer großen deutschen Tageszeitung die Überschrift: „Deutschland nimmt Abschied vom Fleisch“. Als Begründung für diese steile These wurde die Tatsache angeführt, dass sich die Anzahl der Vegetarier verdoppelt habe – von einem auf zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Das zeigt deutlich, dass der angebliche Anti-Fleischtrend permanent überinterpretiert wird, ob nun interessensgeleitetet oder aus ideologischen Gründen.
Künstlich hergestelltes Fleisch soll das Nahrungsmittel der Zukunft werden.
Weltweit lassen sich zwei wirkliche Fleischtrends ausmachen. Der kleine Trend ist, dass der Fleischkonsum in Europa künftig leicht und so langsam zurückgehen wird, dass es in der Gesamtbilanz kaum zu Buche schlägt. Einen dramatischen Rückgang des Fleischkonsums, wie ihn manche Studien prognostizieren, wird es meiner Meinung nach nicht geben. Solche Prognosen entbehren jeglicher unabhängigen wissenschaftlichen Grundlage. Der große Trend ist die weltweite Perspektive. Durch die wachsenden Mittelschichten in Asien und Afrika wird in Zukunft viel mehr Fleisch konsumiert werden, so viel sogar, dass die natürliche Produktion den Bedarf bei Weitem nicht decken kann. Und selbst wenn, dann wäre dies höchst gefährlich, denn allein die Methan-Abgase einer solchen Masse an Kühen und die Emissionen der übrigen Landwirtschaft würden der Ozonschicht endgültig den Garaus machen. Hier schließt sich der Kreis: Künstlich hergestelltes Fleisch, das genauso aussieht und schmeckt wie natürliches Fleisch, wird zur billigen und klimafreundlichen Alternative werden.“
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Quellen: livingpress.de, Bilder: Jörg Gläscher, Depositphotos/alexraths, stokkete, marilyna, Text: Ronja Kieffer