MSC-Label erneut als Etikettenschwindel entlarvt?
Im Supermarkt kennzeichnen diverse Gütesiegel nachhaltige Lebensmittel für den Verbraucher. Das MSC-Gütesiegel steht seit 1997 für umweltschonend gefangenen Fisch. Verschiedene Studien, wie auch die aktuelle von BLOOM, halten dieses Versprechen jedoch für kommerziellen Etikettenschwindel. Worin liegen die Vorwürfe?
Fisch kaufen ohne schlechtes Gewissen
Vor über zwanzig Jahren vom WWF und dem Lebensmittelgiganten Unilever ins Leben gerufen, ist das blaue Logo mit dem Fisch "MSC" heute das weltweit führende Ökosiegel für Meeresfisch - geschaffen um der zunehmenden Zerstörung mariner Ökosysteme entgegenzuwirken. Das Label des Marine Stewardship Council (MSC) sollte vor allem die breite Öffentlichkeit wie auch die Fischindustrie für Nachhaltigkeit sensibilisieren, um damit die Fischbestände und deren Lebensräume langfristig zu sichern.
Viele umweltbewusste Verbraucher vertrauen heute dem Gütesiegel als Garantie Fisch ohne schlechtes Gewissen kaufen zu können. Manche Fischereibiologen und NGO's stehen dem Label jedoch seit Jahren immer wieder kritisch gegenüber. Beklagt wird insbesondere ein mangelnder Anspruch des Labels an den Naturschutz, die lapidare Anwendung der eigenen Standards wie auch die Unparteilichkeit des Zertifizierungsprozesses. Für Greenpeace beispielsweise werden immer wieder Fischereien zertifiziert, die mit ihren Schleppnetzen am Meeresboden nachhaltige Schäden anrichten. Desweiteren bemängeln Greenpeace, wie auch andere Umweltorganisationen, die teilweise hohe Beifangrate geschützter Meeresbewohner wie Meeresschildkröten, Seevögel, Delfine oder Haie durch zertifizierte Fischereibetriebe sowie Unparteilichkeit beim Zertifizierungsprozess. Laut der BLOOM Association, die sich zum Schutz der Ozeane einsetzt, nur einige Anschuldigungen, die nie in ihrem ganzen Umfang überprüft wurden. Dies will die non-profit Organisation nun getan haben. Die Bilanz ihrer Analyse bewertet BLOOM durchweg kritisch. „Die Ergebnisse lassen keinen Zweifel am Ausmaß des MSC-Etikettenschwindels: Im krassen Gegensatz zu seinen Behauptungen zertifiziert das MSC-Siegel vorwiegend industrielle, zerstörerische Fischereipraktiken“, erläutert Frédéric Le Manach, wissenschaftlicher Leiter von BLOOM und Hauptautor der Studie.
Haie sterben als ungewollter Beifang
"Die schlimmsten Fangmethoden machen den Großteil des zertifizierten Fangs aus"
In Zusammenarbeit mit seinen Co-Autoren an den Universitäten von New York (USA) und Dalhousie (Kanada) erstellte BLOOM eine umfassende Analyse aller MSC-zertifizierten Fischereien seit Anbeginn des Siegels. Um die Verteilung der MSC-zertifizierten Fänge nach Fanggerät und Größenordnung zu ermitteln, wurden fast 500 Berichte von Fischereibewertungen ausgewertet. Zudem wurden alle online verfügbaren Bilder des Marine Stewardship Council von BLOOM analysiert, die eine Fischereitätigkeit zeigen und mit den zertifizierten Fangdaten verglichen. Die Ergebnisse lassen für die umweltorientierte NGO zweifelsfrei auf einen umfassenden Etikettenschwindel schließen. Ihren Berechnungen zufolge machten die Fangmethoden mit den weltweit schlimmsten Auswirkungen, wie Grundschleppnetze und Dredgen 83 % der MSC-zertifizierten Fänge zwischen 2009 und 2017 aus. Über eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit werde dieses "Grundübel" vertuscht, in dem kleine, schonend arbeitende Küstenfischereien besonders hervorgehoben werden. Lediglich 32 % davon sind auf Werbefotos zu sehen, wogegen auf die kleine, schonend arbeitende Fischerei, die mit Reusen, Haken oder Handnetzen arbeitet, nur 7 % der zertifizierten Mengen, aber 47 % der Illustrationen entfällt. Entgegen seiner Leitlinien sei das MSC-Siegel alles andere als eine vertrauensvolle Kennzeichnung für nachhaltig gefangenen Fisch.
Wie reagiert der MSC auf die andauernden Vorwürfe des Etikettenschwindels
„Wir finden es fragwürdig, dass eine Kampagnenorganisation wie Bloom Webseitenbilder zählt und glaubt, damit seriös die Qualität unseres Programmes bewerten zu können. Davon abgesehen ist die pauschalisierende Aussage Blooms, große Fischereien seien per se destruktiv, weder richtig noch lösungsorientiert. Auch große Fischereien können nachhaltig sein und umweltverträglich fischen – genauso wie es kleine Fischereien gibt, die nicht nachhaltig sind. Und wir brauchen große Fischereien, weil wir die Ernährung der Weltbevölkerung nicht nur mit kleinen Fischereien sicherstellen könnten. Deshalb müssen wir gemeinsam daran arbeiten, große UND kleine Fischereien zu mehr Nachhaltigkeit bewegen. Genau das tut der MSC. Um der besonderen Situation kleiner Fischereien, insbesondere aus den Ländern des globalen Südens, gerecht zu werden, haben wir im MSC-Programm neben den zertifizierten Groß- und Kleinfischereien auch noch mehr als 100 nicht-zertifizierte Kleinfischereien, die wir mit speziellen Projekten und Fördermitteln auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen. Diesen Teil unserer Arbeit lässt Bloom bei seiner Bilderanalyse völlig außer Acht.“
Das Siegel des MSC steht für nachhaltig gefangen Fisch, gleich welcher Art. Basis des Zertifizierungsprogramms ist der Schutz vor Überfischung und des maritimen Ökosystems durch zerstörerische Fangmethoden. Fischprodukte erhalten nach eigenen Angaben des MSC das Label nur dann, wenn sie aus Beständen stammen, die sich jederzeit wieder erholen können, die Fangmethoden die Artenvielfalt und Funktionsfähigkeit der betroffenen Ökosysteme erhalten und ein effektives Management dafür sorgt, das alle regionalen und internationalen Gesetze eingehalten werden. Während Kritiker des Labels die Verbraucher häufig auf Fischratgeber unabhängiger Organisationen verweisen, stellt der MSC genau dies in Frage. Hierin fänden sich lediglich pauschale Ratschläge zu bestimmten Fischarten oder Fangmethoden. Eine Bewertung einzelner Fischereibetriebe findet jedoch nicht statt. Der MSC überprüfe jedoch immer den konkreten Einzelfall "und ermöglicht damit den Verbrauchern, ein nachhaltiges Fischprodukt auf den ersten Blick am Siegel zu erkennen." Das MSC-Siegel gelte als strengstes Siegel für nachhaltige Fischerei weltweit und betreibt das "einzige Zertifizierungs- und Ökokennzeichnungsprogramm für Fischerei, das die von ISEAL und FAO vorgegebenen Anforderungen für vorbildliche Praktiken erfüllt." Im Hinblick auf kritische Stimmen kündigte das Marine Stewardship Council 2018 Reformen zur Verbesserung seiner Prozess- und Zertifizierungskriterien für Fischereiprodukte an. Die Aktualisierung der Prozessregularien für Zertifizierungsverfahren stellte der MSC im März 2020 vor. Entsprechend einem Statement vom 06. April sieht der WWF "keine Kursänderung" in den Neuerungen und spricht sich vom "Endergebnis enttäuscht" aus. Die anstehende turnusgemäße Überarbeitung der Überprüfungs- und Zertifizierungskriterien für Fischereien dauern derzeit noch an.
Keine verbindlichen Siegel für nachhaltigen Fisch
Derzeit gibt es kein Siegel für nachhaltige Fischprodukte, das uneingeschränkt empfohlen wird. Vorhandene Label wie beispielsweise "Friend of the sea" oder "FOS" stellen zwar Alternativen zu konventioneller Fischerei dar, garantieren aber keinen lückenlosen nachhaltigen Fang. So sehen Verbraucherzentralen wie auch Umweltschutzorganisation Politik, Lebensmittelhandel und Fischindustrie gemeinsam in der Pflicht, ein Konzept zu entwickeln, welches Fisch und Meeresfrüchte aus nachhaltigen Aquakulturen und Fischereien im Verkauf sicherstellen. Die aktuell einzige verbindliche Empfehlung für umweltbewusste Bürger, beim Fischkauf das maritime Ökosystem gleichermaßen zu schützen, ist die Mäßigung des Fischkonsums.
STATEMENT WWF: www.wwf.de/2020/april/keine-kursaenderung
REFORMEN: www.msc.org/de/presse/stellungnahmen/msc-antwort-auf-das-wwf-statement-vom-6-4-2020
Quelle: BLOOM Association (www.bloomassociation.org), www.msc.org, greenpeace.de, ndr.de, Bilder: Depositphotos/lakov, Arrxxx, mlehmann, Text: Tine Esser
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