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Von Löwenstein

Eine Chance für Tiere und Umwelt

In einem offen Brief möchte Dr. Felix Prinz zu Löwenstein die Situation von Bio-Betrieben durchleuchten und auf Dinge aufmerksam machen, die noch verbesserungswürdig sind. Er diskutiert dabei die artgerechte Nutztierhaltung im Ökologischen Landbau, sowie die wirkliche Chance fü Tiere und Umwelt.

Dr. Felix Prinz von Löwenstein, Fachmann für Ökolandbau, betreibt das Hofgut Habitzheim im südhessischen Otzberg und ist Mitglied des Naturland - Verbans für ökologischen Landbau e.V. © Verlag

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde des Ökologischen Landbaus,

In den letzten Tagen mehren sich Berichte in den Medien, in denen katastrophale Bilder aus der Nutztierhaltung in Bio-Betrieben gezeigt werden. Ich finde solche Bilder fürchterlich. Manche davon sind so verstörend, dass es mir schwer fällt, darauf angemessen und sachlich zu reagieren. Denn sie vermitteln den Eindruck, als sei unser Versprechen als Ökolandbau, artgerecht und respektvoll mit den uns anvertrauten Nutztieren umzugehen, nichts wert.

Ich will als jemand, der seit vielen Jahren Verantwortung in der Bio-Branche trägt und als seit 20 Jahren ökologisch wirtschaftender Landwirt trotzdem versuchen, diese Eindrücke und die Situation in unseren Betrieben einzuordnen.

1.    Die industrielle Tierproduktion muss beendet werden

Die industrielle Tierhaltung ist zwar in der Lage, billig große Mengen an Fleisch, Eiern und Milch zu produzieren, missachtet dabei primäre Bedürfnisse unserer Mitgeschöpfe und verursacht enorme Kosten für die Allgemeinheit und für unsere Zukunft. Sie tut dies in der Tierhaltung selbst und auch in der Produktion des Futters.

Die Belastung von Grundwasser und Oberflächenwasser mit Nährstoffen und Arzneimittelrückständen, die ungeheuren Mengen an Importfutter aus Südamerika, die Dezimierung der biologischen Vielfalt – all das darf nicht so weiter gehen. Und auch nicht der durch scheinbar billige Produkte angeheizte Fleischkonsum, der die Ressourcen unseres Planeten überfordert. In Ställen, in denen die Tiere nur Kunstlicht erleben und keinen Kontakt zum Außenklima haben, in denen drangvolle Enge herrscht, kann man zwar produktiv wirtschaften. Man braucht aber – in der Summe Deutschlands – sechsmal so viel Antibiotika, wie in der Humanmedizin verabreicht werden. Dann werden die Tiere wie Werkstücke betrachtet, die man für einen „industriellen Fertigungsprozess“ zurechtstutzt. Ich halte dieses System weder für zukunftstauglich noch für vereinbar mit unserer Verantwortung für die uns anvertrauten Mitgeschöpfe. 

Hühnermast

Bei der Massentierhaltung kommt häufig Antibiotika zum Einsatz © Albert-Schweizer-Stiftung

2.    Der Weg des Ökolandbaus muss weiter verfolgt werden

Seit Jahrzehnten hat der Ökolandbau artgerechte Haltungsverfahren als gangbare Alternative zur industriellen Tierhaltung entwickelt. Auch wenn „Artgerechtigkeit“ nur eine Annäherung und kein vollkommener Zustand sein kann, so gibt es doch klare Unterscheidungsmerkmale: Tiere müssen Tageslicht und Klima kennenlernen, Schweine müssen wühlen können, Hühner laufen und flattern, Kühe ins Freie kommen. Es geht darum, den Nutztieren im Rahmen des Umsetzbaren möglichst viel von dem Verhalten zu ermöglichen, das ihre wilden Verwandten zeigen.

Die Öko-Verordnung der EU und die an wichtigen Stellen strengeren Richtlinien der Verbände definieren bis in kleinste Detail, wie Ställe und Auslauf, Fütterung und Gesundheitsmanagement im Öko-Betrieb auszusehen hat, um so dem Ziel artgerechter Tierhaltung, gesunder Bestände und Minimierung von Arzneimitteleinsatz näher zu kommen.

3.    Vieles ist gelungen, vieles bleibt noch zu tun

Der Umgang mit lebenden Tieren, die gehalten werden, um Nahrungsmittel für den Menschen bereitzustellen, erfordert viel Erfahrung, Können und persönlichen Einsatz. Auf meinem Betrieb habe ich eine kleine Herde Hühner (220 Stück) und weiß aus Erfahrung, wie schwierig das im Alltag ist. Umso froher bin ich darüber, für eine Bewegung arbeiten zu dürfen, die da schon sehr viel erreicht hat und funktionierende Modelle artgerechter Tierhaltung in Kombination mit ökologischer, gentechnikfreier Futtererzeugung tausendfach umsetzt. 

So richtig der Weg ist, den wir als Bio-Betriebe beschritten haben, so deutlich ist aber auch, dass es noch viele Probleme zu lösen gilt. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit richtet sich in diesen Tagen sehr konzentriert auf diese Defizite. Damit gerät die weit überwiegende Mehrheit der Betriebe aus dem Blick, die vorbildlich arbeiten. Wir müssen uns aber der Kritik stellen und offen mit den Problemen umgehen. Ich will hier versuchen offen darzulegen, wo die wichtigsten Probleme und Baustellen liegen und was wir tun, um sie zu beheben.

Problembetriebe

Unter den 22.000 Ökobetrieben mit Tierhaltung gibt es – wie bei allen landwirtschaftlichen Betrieben – Einzelfälle, die ihre Tiere nicht ordentlich versorgen. Auslöser können akute gesundheitliche oder familiäre Probleme, Überforderung im Betrieb oder schlicht Schlamperei sein. In solchen Betrieben können sich in kürzester Zeit katastrophale Zustände entwickeln. Jeder Betrieb wird einmal im Jahr kontrolliert, bestimmte Geflügelbetriebe bis zu 4 x pro Jahr. Selbst diese Kontrolldichte liefert keine endgültige 
100-prozentige Sicherheit. Aber unsere Aufgabe ist es, sie möglichst schnell zu identifizieren, sie bei der Abstellung der Missstände zu unterstützen und – falls das nicht gelingt – uns von ihnen zu trennen. Daran arbeiten die Anbauverbände in unserem Dachverband.

Federverluste in der Geflügelhaltung

Wenn Hühner in der Legepause („Mauser“) sind, verlieren sie Federn. Das sieht zwar nicht schön aus, ist aber ein natürlicher Vorgang. Es gibt jedoch in vielen Betrieben ein unterschiedlich starkes Problem, dass Hühner auch außerhalb solcher Zyklen Federn verlieren oder sie sich sogar gegenseitig auspicken. So etwas darf bei Einzeltieren vorkommen – nicht aber bei ganzen Herden.

→ Unsere Fachleute arbeiten seit Jahren an dieser Frage – die Mehrzahl der Betriebe bekommt es gut hin. Um Erfolg zu haben ist die Eiweißfütterung von zentraler Bedeutung. Mindestens ebenso wichtig sind der Faktor Junghennen-Aufzucht oder die Gestaltung von Ställen und Auslauf.

Übergangsregelungen

Die Umstellung von konventioneller Landwirtschaft auf Ökolandbau braucht nicht nur Zeit, sondern in der Tierhaltung auch viel Kapital. Um Bauern, die nicht über dieses Kapital verfügen oder Schwierigkeiten bei einem Umbau auf ihrem Hof haben, trotzdem die Umstellung zu ermöglichen, räumen die Richtlinien Übergangsregelungen ein. Das führt dazu, dass es Bio-Schweine gibt, die noch keinen Auslauf haben, sowie Kühe, die im Winter im Stall angebunden sind. 
→ Übergangsregelung sind nur zu rechtfertigen, wenn sie zur Überbrückung dienen und nicht zum Dauerzustand werden.

Kuhbetrieb

In der Regel werden die Kühe schon als Kälber enthornt, damit sie sich später nicht gegenseitig oder den Menschen verletzen © thinkstock

Ferkel kastrieren, Kühe enthornen und Küken töten

Es gibt Themen, da haben es noch nicht alle Öko-Betriebe geschafft, besser zu sein, als die breite, konventionelle Landwirtschaft. Auch Fleisch von Bio-Schweinen kann ungenießbar sein, wenn es noch von unkastrierten Ebern stammt. Und in der Geflügelhaltung haben wir nur dieselben Rassen, die auch konventionell verwendet werden, weil es nur noch wenige Zuchtlinien gibt. Bei diesen Linien werden die Küken, die nicht zur Mast bzw. nicht als Legehennen geeignet sind, getötet. Das widerspricht allem, für was wir stehen – und doch haben wir noch keine Lösung entwickelt. Ob Kälber enthornt werden dürfen, um sich später als Kühe nicht zu verletzen und die Menschen nicht zu gefährden, die mit ihnen arbeiten, ist in unseren Reihen ein leidenschaftlich und kontrovers diskutiertes Thema.

→ Beim Kastrationsthema arbeiten wir an unterschiedlichen Ansätzen: die einen an Betäubungsverfahren, die anderen an Züchtung von Ebern, die man unkastriert mästen kann.

Es gibt in etlichen unserer Verbände Züchtungsprogramme, um Rassen für Zweinutzungshühner zu entwickeln. Da dann sowohl die Legeleistung nachlässt als auch das Wachstum verlangsamt ist, müssen solche Programme zusammen mit dem Handel umgesetzt und durch staatliche Forschungsmittel vorangetrieben werden. Ich bin sehr froh, dass an all diesen Fronten in unseren Verbänden gearbeitet wird. Wir werden aber unsere Anstrengungen verstärken müssen!

Eines will ich aber auch deutlich sagen: Es ist nicht unsere Aufgabe, in einer kleinen Nische zu bleiben, in der es leicht ist, alles richtig zu machen. Mein persönliches Engagement als Landwirt und Vertreter der Bio-Branche gilt einem Ökolandbau, der eine gangbare Alternative für die gesamte Landwirtschaft darstellt. Dafür brauchen wir leistungsfähige Betriebe und Partner in Verarbeitung und Handel.

Und da werden wir noch oft erleben, dass wir korrigieren müssen, was noch falsch läuft, um daraus die Lehren für eine Weiterentwicklung zu ziehen. Ich bitte alle Menschen, die sich eine andere Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung wünschen: Unterstützen und begleiten Sie uns kritisch und konstruktiv auf diesem Weg!

Unterschrift Löwenstein