Chance oder Irrweg: Recycling-Häuser aus Plastik
Eine Frau baut seit mehr als zehn Jahren Häuser aus Plastik und verwandelt so die negativen Aspekte der Wegwerfgesellschaft in etwas Positives. Ihre Recycling-Häuser, die sogenannten Chandi Ghars, stehen bereits überall in Pakistan.
Glaubt man Nargis Latif, steht die nächste industrielle Revolution unmittelbar bevor. Sie kommt in Form von einfachen und bezahlbaren Technologien, die sich des akuten Müllmanagement-Problems annehmen – davon ist die pakistanische Umweltschützerin überzeugt. Sie selbst geht mit gutem Beispiel voran.
Besondere Technologie für Recycling-Häuser aus Plastik
Seit 2005 baut Latif in Pakistan sogenannte Chandi Ghars (Silberne Häuser), Swimming Pools, Wasserreservoires und sogar Möbel. Das alles besteht aus ganz besonderen „Ziegel“, die mit der Chandi-Technologie hergestellt werden: Dafür werden Plastikreste gepackt und mit einer thermophoren, also isolierenden Schutzhülle versehen. Diese Technik will gelernt sein; es reicht nicht, einfach Thermosäcke vollzustopfen, um echte Chandi-Ziegel herzustellen.
Viele Menschen wollen aus Prestigegründen nicht dauerhaft in einem der Häuser aus Müll wohnen.
Denn die werden schließlich zum Bau von Häusern genutzt, die sogar Stürmen, Regen und extremen Temperaturen standhalten. Mehr als 150 von ihnen stehen bereits überall in Pakistan, die ersten wurden im Zuge des katastrophalen Erdbebens gebaut, das Pakistan im Jahr 2005 heimsuchte. Die Chandi-Methode birgt also ein großes Potential vor allem für Gegenden, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden, denn mit Nargis Latifs Recycle-Ziegeln hergestellte Häuser können innerhalb kürzester Zeit auf- und wieder abgebaut werden.
Video: Nargis Latif im Interview mit CNN:
Großes Potential für Krisengebiete
Konkret bedeutet das, dass Familien in Krisengebieten nicht lange ohne ein Dach über dem Kopf ausharren müssen, dass Schulen ihren Betrieb schon bald nach einem Unglück wieder aufnehmen und dass über Nacht mobile Krankenstationen eingerichtet werden können. Außerdem sinkt das Infektionsrisiko. Auch pakistanische Nomaden, die in dem südasiatischen Staat eine Minderheit darstellen, profitieren von den Chandi Ghars. Statt bei jedem Ortswechsel eine neue Lehmhütte erbauen zu müssen, können sie ihr Haus einfach mitnehmen, wenn das Wasser ausgeht und sie zu einem neuen Ort aufbrechen.
Auf Messen präsentieren sie ihre Häuser aus Plastik, die besonders für Krisengebiete und die pakistanischen Nomaden geeignet sind.
Revolutionäre Idee
Die Idee, aus weggeworfenem Plastikmüll Häuser und Möbel zu bauen, ist also tatsächlich revolutionär. Mit ihrem sozialen Unternehmen Gul Bahao setzt sich Nargis Latif seit 1994 dafür ein, dass die Chandi-Methode anerkannt und gefördert wird. Keine einfache Aufgabe, denn es fehlen sowohl finanzielle Mittel als auch die Akzeptanz vonseiten der pakistanischen Bevölkerung. Viele Menschen möchten nicht länger als nötig in den Plastik-Häusern bleiben, da sie nicht im Müll leben wollen – selbst wenn dieser, wie im Fall der Chandi Ghars, vor der Verarbeitung gereinigt wurde.
Weitere Forschung ist dringend notwendig
Dieses Problem könnte sich möglicherweise durch den Einsatz weiterer Materialien lösen lassen, die den Recycling-Häusern einen weniger provisorisch anmutenden Charakter verleihen würden. Doch ohne die dringend notwendige – und in Pakistan leider weit unterschätzte – Forschung und finanzielle Unterstützung können Nargis Latif und ihre Mitstreiter solche Projekte nicht realisieren. Dabei sind Projekte wie diese nicht zuletzt angesichts der weltweit steigenden Müllberge von enormer Bedeutung. Allein in Karachi, dem Hauptsitz von Gul Bahao, fallen täglich 12.000 Tonnen Müll an.
Tatsächlich sehen die „silbernen Häuser“ ein wenig gewöhnungsbedürftig aus.
Forschung und Weiterentwicklung sind auch deshalb nötig, weil einige Fragen zu den Chandi Ghars ungeklärt bleiben. Was geschieht zum Beispiel, wenn eines der Recycling-Häuser Feuer fängt? Abgesehen von den daraus folgenden Umweltschäden scheint die Gefahr für die Bewohner nicht unerheblich zu sein. Es ist zu hoffen, dass Nargis Latifs beeindruckender Einsatz für eine neue industrielle Revolution nicht unbeachtet bleibt.
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Quellen: Gul Bahao Trust, Bild: Gul Bahao Trust, Text: Ronja Kieffer
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