Portrait Yvonne Zwick, Vorsitzende des B.A.U.M. e.V.
Yvonne Zwick (Jahrgang 1976) studierte katholische Theologie mit Schwerpunkt christliche Gesellschaftslehre an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg. Im Anschluss durchlief sie verschiedene Stationen u.a. in der Geschäftsstelle des Rates für nachhaltige Entwicklung, wo sie zuletzt als Stellvertretende Generalsekretärin das Büro des Deutschen Nachhaltigkeitskodex leitete und maßgeblich an der Entwicklung des Deutschen Nachhaltigkeitskodex verantwortlich war. Seit Januar 2021 ist sie Vorsitzende von B.A.U.M. e.V. Seit November 2021 arbeitet sie als Expertin in der Expertenarbeitsgruppe KMU der European Financial Reporting Advisory Group – EFRAG mit, die den europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandard für mittelständische Unternehmen ausarbeitet.
Was hat Sie maßgeblich geprägt, um sich dem Thema Nachhaltigkeit sowohl beruflich als auch privat zu widmen?
Das Thema Nachhaltigkeit war bei mir eher ein schleichender Prozess und weniger eine familiäre Prägung. Während meines Studiums war ich ehrenamtlich in einer Arbeitsgruppe für die Katholische junge Gemeinde engagiert. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ von BUND und Misereor veröffentlicht und das war für mich ein Schlüsselmoment und Impuls, mich intensiver mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Wir haben dann geschaut, wie wir die Studie für unsere verbandliche Tätigkeit übersetzen können, um Inhalte konzeptionell in die Organisation eines Jugendtages zu übernehmen. Ich habe mich also eher von weit weg in das Thema hineingearbeitet. Heute ist es für mich so, dass Nachhaltigkeit im Alltag keine Grenzen mehr kennt. Ich probiere gerne neue Dinge aus und schaue, ob diese sich einfach in meinen Alltag integrieren lassen. Witzigerweise kommen die Schulkameraden meiner Kinder gerne zu uns, weil hier die Butter und das Brot so wahnsinnig gut schmeckt.
Danach führte mich mein beruflicher Werdegang als Geschäftsführerin zur Jugendpresse Deutschland in Berlin und somit auch nah an den Politikbetrieb heran, der mich bereits zu meiner Studienzeit interessierte. Ein Parteibuch wollte ich allerdings nie. Es folgten Stationen bei der Bundeszentrale für politische Bildung und über 16 Jahre beim Rat für Nachhaltige Entwicklung. Hier vertiefte ich immer mehr mein Wissen rund um das Thema Nachhaltigkeit und die vielen Facetten davon.
Wie müssen wir uns Ihre Rolle als Vorsitzende von B.A.U.M. vorstellen und was sind Ihre Top-Themen auf der aktuellen Agenda?
Ich verstehe mich einerseits als Dompteurin und andererseits auch als Moderatorin von B.A.U.M. e.V., dem Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften. Bei einem so großen Verband geht es mir vor allem darum zu verstehen, wie unsere über 700 Mitglieder ticken, was sie beschäftigt, welche Lösungen für aktuelle Themen gebraucht werden und wie die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure bestmöglich miteinander interagieren können. B.A.U.M. besteht aus Einzelpersonen, Kleinstunternehmer:innen, Mittelständler:innen, Vereine, Verbände bin hin zum börsennotierten multinationalen Unternehmen. Da entstehen natürlich ganz unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen an die Verbandsarbeit. Ich bin jetzt seit einem Jahr als Vorsitzende tätig und fühle mich so ein bisschen wie in der Manege. Alle sind in Bewegung und B.A.U.M. ist wie das Rund einer Manege, in dem alle in Bewegung sind, mal näher und auch mal weiter entfernt vom Zentrum. Außerdem arbeiten wir ergänzend und als Kooperationspartner mit anderen Verbänden wie z. B. „Entrepreneurs for Future“ und dem Green and Sustainable Finance Cluster Germany zusammen. Was uns von anderen Verbänden aus der nachhaltigen Wirtschaft unterscheidet? Bei B.A.U.M. geht es weniger um die politische Lobby und stärker um die Betriebspraxis, die wir durch Kompetenzentwicklungsprogramme und Informationsveranstaltungen nachhaltig vermitteln. So planen wir für 2022 den Launch einer kuratierten eLearning-Plattform für Unternehmen mit Inhalten unserer Mitglieder.
Außerdem beschäftigt uns sehr stark das Thema, wie wir nachhaltige Finanzierung mit nachhaltigem Wirtschaften zusammenbringen können, um somit eine Sogwirkung auf Unternehmen, die noch nicht nachhaltig wirtschaften, auszuüben. Dabei spielen Themen wie Transparenz, Berichterstattung, Messung von Nachhaltigkeit mittels Leistungsindikatoren (KPIs) und die Idee einer „B.A.U.M.-Balanced-Score-Card“ eine sehr große Rolle. Darüber könnten wir ganz real den Beitrag unserer Verbandsarbeit auf die Nachhaltigkeitsziele der Unternehmen messen, aber auch die Beiträge unserer Mitglieder zur Zielerreichung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und der 17 SDGs sichtbar machen.
Das dritte große Thema auf der B.A.U.M.-Agenda ist die Konkretisierung unseres Markenkerns - zu schauen, welche Schätze noch brach liegen, die man im Netzwerk heben könnte und davon eine stringente Strategie für unsere Zukunft abzuleiten. Darin werden Themen und digitale Projekte wie zum Beispiel die eLearning-Akademie oder klimaneutrales Veranstaltungsmanagement behandelt, um den Einstieg für Unternehmen zu erleichtern. Wenn es hier weiteren Beratungs- und Schulungsbedarf gibt, können wir diesen mit unserem Netzwerk erweitern und anbieten.
Yvonne Zwick ©Anne Hufnagl
Was empfehlen Sie KMUs, die sich in der aktuellen Klimadiskussion für ein stärkeres Engagement entscheiden und eine Nachhaltigkeitsstrategie in die bestehende Unternehmensstrategie implementieren möchten?
Ich empfehle allen Unternehmen von Anfang an mit einem strategischen Prozess einzusteigen. Hierzu ist der Deutsche Nachhaltigkeitskodex ein sehr praktisches Tool, mit dem der Einstieg sehr einfach gelingen kann. Dazu empfehle ich die Bildung eines Nachhaltigkeitsteams aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Führungskräften und der Geschäftsleitung, die ein Interesse an nachhaltigen Themen haben und diese im Unternehmen gemeinsam umsetzen möchten. Um in so einen strukturierten Prozess mit einer Sachstandsanalyse einzusteigen, bietet sich der DNK mit seinen 20 Kriterien an, zumal dieser auch auf internationale Standards der Berichterstattung wie z. B. den GRI basiert. In diesem Prozess stellt man sich dann Fragen wie z. B. Wo sind die Wirkungen von Maßnahmen am effektivsten? Wo kann man sehr schnelle Wirkungen erhalten wie z. B. durch eine Umstellung auf Ökostrom oder die Bank wechseln? Im Anschluss bietet sich ein Managementansatz an, um zu prüfen, wo negative Auswirkungen vermieden werden können, wo sind diese reduzier- oder nicht vermeidbar sind, und dann am Ende zu schauen, wo man welche Wiedergutmachungsmechanismen aufbaut. Viele Unternehmen steigen dann über ein Stiftungsthema oder über Kompensationsprojekte ein. Für mich persönlich käme das als Lösung wirklich erst ganz am Ende infrage, wenn alle anderen Effizienz- und Vermeidungsstrategien ausgeschöpft sind. Wie Nachhaltigkeit ins Kerngeschäft kommt, ist hier die wesentliche zentrale Frage. Welche Ziele kann ich setzen, was kann ich regelmäßig berichten, was tatsächlich getan und erreicht wurde? Gerade im Zielerreichungsprozess ist es sehr wichtig, ehrlich mit sich zu sein, auch wenn es mitunter anstrengend und frustrierend ist. Wenn Zielkonflikte öffentlich dargelegt werden und beschrieben wird,wo die Systemgrenzen liegen, die ich nicht unmittelbar in der Hand habe wie z. B. Zulieferer, Kunden oder die politischen Rahmenbedingungen, dann kommen wir auch zum Thema verantwortliches Lobbying für Nachhaltigkeit. Dann kann man auf politischer und systemischer Ebene in solche Lernprozesse einsteigen. Wer das scheut, bleibt machtlos.
Welche Rolle kann die Politik spielen, um Unternehmen in der Nachhaltigkeitsdiskussion zu stärken?
Auf politischer Ebene gibt es die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie auf Basis der 17 SDGs. Dabei handelt es sich um Rahmenbedingungen, die jedoch viel zu wenig im Tagesgeschäft sichtbar sind wie zum Beispiel in der Außenhandels- oder der Standortpolitik. Ich vermisse, dass die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie handlungsweisend aufscheint. Auf europäischer Ebene haben wir erst gar keine. Politik muss sich auf die Suche nach Anreizen machen, wie verlässlich nachhaltige Geschäftsmodelle im positiven Sinne unterstützt werden können. Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsstrategie stringent umsetzen und höhere Kosten in Kauf nehmen, sollen steuerlich bevorteilt werden. Da dies auf politischer Ebene derzeit nicht stattfindet, hängen zu viele Unternehmen in herkömmlichen Geschäftsmodellen fest. Wir riskieren damit Wohlstandseinbußen und Arbeitsplatzverluste.
Sustainable Finance ist aktuell ein zentrales Thema für Unternehmen, das vor allem auf europäischer Ebene massiv getrieben wird. Wie beteiligt sich B.A.U.M. e.V. an dieser Diskussion und Entwicklung?
Wir engagieren uns sehr stark im Thema Sustainable Finance und sind dieses Jahr Veranstaltungspartner des Sustainable Finance Gipfel in Frankfurt gewesen. Das Ziel dieser Partnerschaft ist es, die Schnittstelle zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft zu schaffen und gleichzeitig die eigene Perspektive einzubringen. Wir sind ja kein Finanzwirtschaftsverband, aber wir möchten, dass unsere Mitglieder wissen, zu was sie in welcher Qualität im Bereich nachhaltige Investments auskunftsfähig sein sollten und welche Prozesse sie aufbauen müssen, um tatsächlich valide Auskunft darüber geben zu können. Genau diese Kettenwirkungen, die sich von einer europäischen Taxonomieverordnung, einer Sustainable Finanzstrategie bis hin zu den Geschäftsopportunitäten, die sie daraus entwickeln können, diese zu übersetzen und den Unternehmern aufzubereiten, sehe ich als eine wichtige Rolle unseres gemeinnützigen Verbandes.
Wie begegnen Sie Menschen, die die Meinung vertreten, da Deutschland ja nur 3 Prozent des weltweiten CO2-Austoßes verursachen, mache es keinen Sinn, sich für Klima- und Umweltschutz einzusetzen und das eigene Konsumverhalten zu überdenken?
Yvonne Zwick ©Anne Hufnagl
Denen antworte ich, dass sie den Konsolidierungskreis etwas zu eng ziehen, denn wir wissen ja, dass zwischen 80 bis 90 Prozent der CO2-Emissionen sich in Scope 3 abbilden, d. h. ganz am Anfang der Wertschöpfungskette und somit Treibhausgase importieren - auch virtuell. Wir importieren Menschrechtsverletzungen und Arbeitsrechtsverletzungen, die in Deutschland nicht zulässig wären und das alles zum Preis der billigen Kosten. Wenn etwas billig ist, bezahlt immer irgendjemand irgendwo die teure Rechnung. Mein Rat: Kopf heben, genau hinschauen und Perspektive erweitern – denn wir leben ja in einem globalen Dorf. Dank Social Media gelangen mittlerweile viele Leaks und Infos über die „echten“ Arbeitsbedingungen und mit denen wir uns als Unternehmerinnen und Unternehmen, und als Konsumentinnen und Konsumenten Tag für Tag auseinandersetzen sollten.
Die SDGs sind ein sehr guter Referenzrahmen. Sie stellen echte Nachhaltigkeit unserer Lebensstile, unserer Produktionsmuster und unserer Wertschöpfungspraxis auf den Prüfstand. Die deutsche Bundesregierung hat auch sehr deutlich und explizit in Ihre Nachhaltigkeitsstrategie geschrieben, dass die deutsche Wirtschaft und die deutschen Unternehmen Botschafterinnen und Botschafter sind für eine soziale Marktwirtschaft, auch in den Ländern, in denen sie Sourcing betreiben oder Geschäftsbeziehungen unterhalten. Über die globalen Lieferketten können wir dafür sorgen, dass anderswo auch ein gutes Leben möglich ist. Es ist einfach nicht in Ordnung, den Kontext Nachhaltigkeit komplett auf den Müllhaufen des Bewusstseins zu werfen, wenn wir nicht vor unserer Haustür produzieren. Manchmal kommt es nur auf den Willen an, eine lebendige, respektvolle Geschäftsbeziehung aufzubauen. Durch Digitalisierung und Blockchain-Technologien haben wir Möglichkeiten, die Grundstoffen zurück zu verfolgen: unter welchen Arbeitsbedingungen wurden diese geschürft, erschaffen oder erwirtschaftet und welchen Weg haben sie genommen? Wie waren die Bedingungen für die Arbeiter:innen und die der Zulieferbetriebe? Das bezieht sich nie nur auf den ökologischen Rucksack, wo wir, wie ich glaube, eine ziemlich gute Übung haben, diese zu bilanzieren oder in Modellen zu versuchen in Näherung zu berechnen.
Das, was jetzt kommen wird, ist die Wirkungsmessung.Sie betreffen bereits jetzt die finanzrelevanten Akteure in Bezug auf ihr Kredit- und Investment-Portfolio. Ab kommendem Jahr wird das detailreicher mittels festgelegter KPIs. Das kann bis zum Mittelstand durchgereicht werden. Alle, die sich dem Thema weiter verweigern, müssen damit rechnen, dass sie in zehn Jahren keinen Kredit mehr bekommen und das ihr Unternehmen im Fall der Fälle nicht mehr restrukturiert wird, da es keinen Wert für die Zukunft darstellt.
Quellen: Bilder: Anne Hufnagl, Text: Ulrike Stöckle