Kaufen oder sein lassen? Was tun nach dem neuen Hähnchenskandal
Der massive Einsatz von Antibiotika in der Geflügelzucht hat gefährliche Nebenwirkungen. Tierschützer vom BUND haben in jedem zweiten Hähnchenprodukt in Supermärkten resistente Bakterien entdeckt. Wir sind selbst schuld, denn wir geben unser Geld lieber für Luxusgüter aus, anstatt für gesunde und nachhaltig produzierte Lebensmittel, meint unsere Redakteurin.
Tierschützer vom BUND haben in jedem zweiten Hähnchenprodukt in Supermärkten resistente Bakterien entdeckt.© WDR
Der vegetarische Salat am vergangenen Samstag in dem Szene-Laden in der Innenstadt kostete 5,95. Mit Hähnchenstreifen zahlte man gerade mal schlappe 1,50 Euro mehr.
Der Freund bestellte einen Wrap mit Hühnchen.
Ich aß vegetarisch. An diesem Tag, in diesem Laden. Durch die schmalen Gänge, vorbei an den schlichten Holztischen balancierten die Servicekräfte unförmige Fleischberge. Sie hievten diese aus dem schmalen Aufzugsfenster, dampfend. Scheinbar kam das Fleisch aus den Tiefen der Kelleräume. Vielleicht war das auch besser so. Es waren Fleischberge, die durch den vollbesetzen Laden getänzelt wurden: mal streng zugeknöpft mit dunkler Soße, mal beherzt offen liegend. Aber immer: billig. Ein Blick in die Karte: Kein Schnitzel kostet mehr als 8,95 Euro, inklusive Beilagen.
Zwei Stunden später beim Wochenendeinkauf bei einem dieser billig-Discounter um die Ecke. Treffpunkt: vor dem Kühlregal, kurz vor Ladenschluss. Um bis zu 30% reduziertes Fleisch. 400g Hähnchenschenkel zu ehemals 3,95 Euro war nun für knappe 2,80 Euro zu haben. So irre billig! Kaufen, oder sein lassen? Ich entschied mich dagegen und griff zu Tofu und Gemüse. Der Freund so: «Frauen.» Ich so: «Koch du doch erst mal selbst!»
Ich esse kein Fleisch mehr, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben
Ich weiß nicht, ob es Jonathan Safran Foers Roman «Tiere essen», der Lebensmittelschocker «We feed the world», oder mein Dasein als Lehrerin in einem Hauptschulabschlussprojekt mit sozial schwachen Jugendlichen, und das fünf lange Jahre, gewesen ist, was mich zum Umdenken gebracht hat. Vielleicht war es auch alles zusammen. Ich esse jedenfalls kein Fleisch mehr, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Je billiger das Fleisch ist, desto schlechter wird mein Gewissen; es ist schon eine Art Scham, die ich entwickle, wenn ich mir das nackte, kalte Fleisch in den Plastikverpackungen in den Kühlregalen anschaue.
Warum diese Ankedote? Weil es mich wirklich traurig macht, wie unglaublich abwertend und gemein wir mit Tieren umgehen, die nunja, unsere Fleischlieferanten sind, was vielleicht nicht immer so ganz klar ist.
Und dann heute das:
BUND deckt auf: gefährliche Erreger auch im Supermarkt
In Filialen fünf großer deutscher Handelsketten hat der BUND Hähnchenfleisch unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Auf mehr als jeder zweiten Stichprobe der Hersteller "Wiesenhof", "Sprehe" und "Stolle" waren antibiotikaresistente Bakterien (gekauft bei Edeka, Netto, Lidl, Rewe und Penny). Diese Bakterien können bei der Zubereitung des Fleischs leicht auf den Menschen übergehen (ESBL- und MRSA-Keime). Bei anfälligen Menschen können sie zu schweren Erkrankungen führen. Zudem übertragen sie ihre Unempfindlichkeit gegen Antibiotika auf andere Bakterien im Körper. Nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts sterben allein in Deutschland jedes Jahr 15.000 Menschen an Infektionen, bei denen Antibiotika nicht mehr helfen konnten.
Ich denke da nur: Man weiß es doch, man hat doch mittlerweile wirklich genügend schauderliche Bilder im Kopf von den Massentierhaltungsbetrieben. Auch wenn es die Schockbilder noch nicht ganz in die Prime Time geschafft haben, aber sie sind bekannt. Und die Frage, die alle umtreibt: Warum wird dieses Fleisch denn überhaupt noch gekauft?
Natürlich, weil es billig ist.
Auch sozial Schwache könnten sich anders ernähren
Weil wir unser Geld lieber für andere Dinge ausgeben, als für nachhaltiges, gesundes Essen. Das betrifft nicht alle, aber die meisten. Auch mich. Ich zeige nicht auf andere. «Aber diese sozial schwachen Jugendlichen», sagen jetzt Sie, «die Sie unterrichtet haben, sind arm und können sich nichts anderes leisten, als billige Lebensmittel und billigestes Fleisch.»
Ja, es gibt viele Menschen in unserem Land, die nicht viel Geld zur Verfügung haben. Das stimmt, einerseits. Diese Jugendliche, von denen ich gesprochen habe, haben alle Harz IV bezogen. Es gibt erschreckend viele Menschen in Deutschland, die arm sind, wie diese Jugendlichen in diesem Schulprojekt. Diese Jugendliche verfügten irritierenderweise über die gerade angesagtesten Konsumgüter. Vom Smartphone, über das Flat-TV. Von den coolen Schuhen, bis zur hippen Uhr.
Die Arbeit mit diesen Jugendlichen hat mir eines wirklich gezeigt: was ihnen fehlt ist das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung. Sie wissen gar nicht, was das ist. Woher denn auch. Und somit fehlt ihnen auch die Bereitschaft mehr für Lebensmittel auszugeben.
Das sollte in einer freien Gesellschaft natürlich jeder für sich entscheiden dürfen.
Aber nach dem Skandal ist ja immer vor dem Skandal.
Und wo bitte soll das denn noch alles hinführen?
Text: Sarah Kern
Weiterführende Artikel zum Thema: ecowoman.de im Gespräch mit dem nordrhein-westfälischen Verbraucherschutzminister Johannes Remmel über den Antibiotikaeinsatz in der Hähnchenmast.
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