Bike Kitchen: ein Rezept um Fahrräder wieder funktionsfähig zu machen
Hilfe zur Selbsthilfe hört sich irgendwie altmodisch an. Viele denken an Selbsthilfegruppen oder an die Schriftenreihe aus den 60ern „Jetzt helfe ich mir selbst“. Dabei ist diese Selbstermächtigungsstrategie populärer denn je. Will ich mich unabhängig vom Auto machen, steige ich aufs Fahrrad. Wenn das kaputt geht und ich es nicht in einen teuren Fahrradladen bringen möchte, dann lerne ich eben, es selbst zu reparieren!
Ob Bremse, Gangschaltung oder Kette erneuert werden müssen - in der "Fahrrad-Küche" kein Problem.
Quelle: Annette Kulp
In unserer Konsumgesellschaft soll möglichst viel gekauft werden. Nicht nur Produkte, sondern auch Dienstleistungen. Die Wenigsten wissen, wie sie ein Regal bauen, einen Garten anlegen oder einen Reifen flicken sollen und überlassen es „dem Profi“.
Dabei ist das Fahrrad das perfekte Gerät, das eigenständig repariert werden kann. Es funktioniert rein mechanisch und wenn man sich die Komponenten genau anschaut, kann man auch dahinter kommen, wie es funktioniert.
Außerdem ist das Fahrrad ein umweltfreundliches und besonders günstiges Fortbewegungsmittel, das Menschen individuell und selbstbestimmt Mobilität gewährt.
Ist die Felge verbogen, so kann sie im Zentrierständer "begradigt" werden.
Quelle: Christina Konz
Es liegt also nahe, Fahrradwerkstätten anzubieten, in denen Leute lernen, ihr Fahrrad zu reparieren. Die Idee der offenen Fahrradwerkstatt kommt aus Portland. In den USA sind sie auch als „Bike Kitchens“ bekannt.
Dahinter stecken soziale und pädagogische Gedanken:
- Alle Leute sollten Fahrrad fahren können, auch wenn sie kein Geld haben für ein teures Fahrrad.
- Alle sollen sich trauen und ausprobieren mit Werkzeugen umzugehen, auch wenn sie sich selbst für technisch unversiert halten.
- Damit niemand ausgeschlossen wird, verlangen die Werkstätten kein Geld oder höchstens eine Spende.
- Die Werkstätten funktionieren ehrenamtlich und ohne Hierarchien. Alle Mitglieder treffen Entscheidungen gemeinsam und gleichberechtigt.
- Alte, aber noch funktionsfähige Fahrradteile werden wiederverwertet. Besonders für ältere Fahrräder findet man hier Ersatzteile, die es in Geschäften schon lange nicht mehr zu kaufen gibt.
- Teilweise finden Projekte statt, wie zum Beispiel Fahrräder in andere Länder zu schicken, um noch mehr Leuten das Fahrradfahren zu ermöglichen
Wie die Selbsthilfewerkstätten funktionieren:
Inzwischen gibt es ein weit verbreitetes Netzwerk offener Fahrradwerkstätten. In der Regel haben sie bestimmte Öffnungszeiten, die Fahrradbegeisterte ehrenamtlich übernehmen. In dieser Zeit ist die Werkstatt geöffnet und jeder kann hineinkommen, sich am Werkzeug bedienen, um sein Fahrrad in Ordnung zu bringen, und am Ende alles wieder aufräumen.
Natürlich kennen sich nicht alle Leute mit Fahrrädern aus, die einen haben mehr Erfahrung als andere. Und hier setzt das Konzept an: Wenn jemand Hilfe braucht, bekommt er welche. Entweder von den „Mechanikern“, also den Leuten, die den Werkstattbetrieb am Laufen halten, oder aber von Mitreparierenden. Er bekommt Vorschläge, wie er den Reifen flicken kann, wie er die Pedale auswechselt oder wie er den Achter aus der Felge herausbekommt. Selber machen muss er es selbst!
Das Reparieren ist in vollem Gange. Wer nicht weiter weiß, lässt es sich erklären.
Quelle: Annette Kulp
Genau dieser Lerneffekt ist wichtig, denn es geht nicht nur darum, wieder ein funktionierendes Rad zu haben, sondern die eigenen Fähigkeiten zu erweitern und Selbstvertrauen zu gewinnen. Wie schön ist es, wenn man nach einer bestimmten Zeit so viel Wissen hat, dass man es weitergeben kann?
In der Regel suchen die Werkstätten immer Leute, die Lust haben mitzumachen. Als „Mechaniker“ ist es schön, andere Menschen unterstützen zu können und als „Kunde“ ist es vor allem ein tolles Erfolgserlebnis, hinterher in die Pedalen zu treten und zu sehen, dass das Fahrrad wieder fährt.
Text: Danijela Milosevic
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