Nachhaltige Forstwirtschaft - »Erfinderin« der Nachhaltigkeit rühmt sich mit Raubbau im Wald
Die erschreckenden Nachrichten vom Waldsterben durch "sauren Regen" sind längst verstummt. Dreißig Jahre später genießen wir wieder entspannte Spaziergänge durch gesunde Wälder. Aber welchen Wald meinen wir damit eigentlich? Ein Blick auf unsere nachhaltige Forstwirtschaft.
Das Horrorszenario der 80er Jahre, vom Untergang der grünen Lunge, ist zwar nicht eingetroffen, aber gut geht es unseren Wäldern trotzdem nicht. Kritiken zu einer angeblich nachhaltigen Forstwirtschaft häufen sich, immer mehr Bürgerinitiativen wehren sich gegen Kahlschläge ganzer Waldgebiete. Auch die Energiewende scheint mit ihren Windkraftanlagen nur eine ökonomisch geprägte Alternative zur Atomkraft zu sein, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse von Wald, Mensch und Tier. Schaut man sich die derzeitige Ausbeutung deutscher Wälder an, klingt der ursprüngliche Nachhaltigkeitsgedanke wie ein modernes Märchen ohne Happy End.
Was bedeutet eigentlich "Nachhaltigkeit"?
Die Leitidee der "Nachhaltigkeit" ist mittlerweile derart verwässert, dass der Begriff immer häufiger mit einer scheinheiligen Worthülse für "Greenwashing" gleichgesetzt wird. Als Vater der Nachhaltigkeit gilt der sächsische Oberberghauptmann Hanns Carl von Carlowitz. In seinem Buch „Sylvicultura oeconomica“ formulierte er die Vokabel vor über 300 Jahren erstmals im Zusammenhang mit einer "respektvollen" Forstwirtschaft. Bis heute ist kein verbindlicher Konsens für eine einheitliche Definition von "Nachhaltigkeit" zu finden.
1987 wurde der Begriff von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung wie folgt ausgelegt: "Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen." Für viele ist diese Bestimmung bis heute in ihrer Kernaussage stimmig. Wissenschaftlich basiert der Begriff auf drei mehr weniger gewichtigen Säulen, die inhaltlich unterschiedlich gefüllt sind: Ökonomie, Ökologie und Soziales. Vor dem Hintergrund schwindender Ressourcen, Anstieg der Bevölkerung und einem drohenden ökologischen Kollaps sehen Kritiker den zentralen Ansatzpunkt der Nachhaltigkeit jedoch in der Ökologie, da die beiden anderen Bereiche nur durch eine intakte "Natur" funktionieren kann.
"Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen."
Es war einmal...nachhaltige Forstwirtschaft?
Der Wald ist mehr als nur reiner Holzlieferant, dessen nachwachsende Rohstoffe für die kommenden Generationen gesichert werden muss. Fakt ist, alle Wälder dieser Erde bilden ein komplexes Ökosystem, das für den Menschen unverzichtbar ist. Ein "funktionierender" Wald sorgt für ein gesundes Klima, produziert Sauerstoff, reinigt und bindet Wasser, schützt vor Bodenerosion, filtert Umweltgifte, bildet einen natürlichen Lärmschutz und ist unverzichtbarer Lebensraum für unzählige Pflanzen- und Tierarten, von denen wiederum viele andere Lebewesen abhängig sind. Eine nachhaltige Forstwirtschaft agiert im Sinne der Erhaltung ausreichend natürlicher Waldflächen.
Harvester und Holztransporter zerstören rücksichtslos Waldwege
Leider zeigen viele Studien, dass wir weit weg sind von einer naturnahen Waldbewirtschaftung. Rund ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten in deutschen Wäldern sind bedroht. Kahlschläge, Gifteinsätze und Monokulturen gehören längst zur Tagesordnung. Schwere Geräte wie Harvester oder Holztransporter zerstören rücksichtslos Waldwege und verdichten Waldböden so extrem, dass kaum noch Sauerstoff für Pflanzen und Bäume übrig bleibt. Langsam aber sicher verschwinden Lebensräume und Nährstoffe für Tiere, da sämtliches Holz aus dem Wald abtransportiert wird. Wichtiges Biotopholz in Form von Totholz, das verrotten darf, fehlt zur Aufrechterhaltung eines gesunden Ökosystems. Allein die Holzindustrie hat derzeit Grund zum Lachen. Von einer nachhaltigen Forstwirtschaft scheinen wir jedoch weit entfernt. Gerade mal 1,9% der deutschen Wälder sind effektiv geschützt. Wir verbrennen und verbauen fast doppelt so viel Holz wie nachwächst. Aufgeforstet wird meist nur mit schnell nachwachsenden Fichten und Kiefern, die weder dem Standort mit ihren nutznießenden Lebewesen gerecht, noch alt genug werden, um genügend CO2 zu binden.
Der Streit um einen naturnahen Wald
Umweltaktivisten kritisieren zunehmend den Mangel an dichten, alten Wäldern, die für den Klima- und Artenschutz zwingend notwendig sind. Als Reaktion auf die voranschreitende Bedrohung durch die Ausbeutung der Wälder und dem damit verbundenen internationalen Abkommen zum Schutz des Klimas und der Artenvielfalt, reagierte Deutschland ebenfalls mit klaren Zielen. Bis 2020 sollen fünf Prozent der deutschen Wälder einer natürlichen Entwicklung ohne Holzwirtschaft überlassen werden. Die forstlich genutzten Wälder sollen zudem wieder nachhaltiger bewirtschaftet werden, damit sie erneut zu einem ursprünglichen und vielfältigen Waldökosystem entwickeln können.
Bis 2020 sollen fünf Prozent der deutschen Wälder einer natürlichen Entwicklung ohne Holzwirtschaft überlassen werden
Greenpeace sieht dieses Abkommen nach zehn Jahren deutschlandweit nicht konsequent umgesetzt und bezeichnet die vielgelobten Nachhaltigkeitsmaßnahmen in unseren Wäldern als "ökologische Augenwischerei". Die Zielsetzungen werden nur unzureichend erfüllt. Dabei sind die Unterschiede innerhalb der Bundesländer gravierend. Während das Saarland und Schleswig-Holstein bereits auf einem guten Weg sind, die Herausforderungen von Umweltschutz, Artenschutz und Klimaschutz im Wald zu erfüllen, bilden Bayern und Hessen traurige Schlusslichter beim Thema "nachhaltige Forstwirtschaft". Die Verbände der Waldbesitzer sehen diese Entwicklung weitaus unbedenklicher. Neben dem Argument, das die Deutschen lieber in "aufgeräumten" Wälder spazieren gehen, sei es auch in abgeholzten Waldstücken möglich, dass sich eine neue Artenvielfalt bildet. Hinzu kommt, der beachtliche ökonomische Wert der Wälder sowie der Schutz vor umfallenden Bäumen durch Kahlschläge.
So wie viele Waldabschnitte nach einer Abholzung aussehen, so wird sich wahrscheinlich auch der Streit um ausreichend naturnahe Wälder noch hinziehen: kriegerisch!
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Quellen: Bilder: Depositphotos/bobrik74sell, nature78, vladvitek, Text: Tine Esser
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