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Rotes Eichhörnchen
Invasion im Ökosystem

Grau statt rot: Eichhörnchen in Gefahr

Knopfäugig knabbern sie an Nüssen oder klettern flink die Bäume rauf und runter. Die meisten Menschen sind bei ihrem Anblick völlig verzückt, wenn ein Eichhörnchen mit wippendem rotem Puschelschwanz vorbei huscht. Doch die niedlichen Nager sind in Gefahr.

Auch in Zeiten, wo die Meinungen sehr auseinander gehen, können wir uns meist auf eines einigen: Alle lieben Eichhörnchen. Doch seit einigen Jahren sind die roten Puschelschwänze in Gefahr. Denn ein grauer Verwandter versucht sie zu verdrängen. Nur noch etwa 140.000 rote Eichhörnchen leben in Schottland, Nordirland, einigen Ecken von Wales, Nordost- und Nordwest-England und der Isle of Wight. In Großbritannien und Irland verschwinden die putzigen Tiere: Sie werden von den größeren, grauen Eichhörnchen aus Amerika verdrängt.

Die Geschichte der Verdrängung

1876 setzte jemand im westenglischen Cheshire aus Mitleid ein in Gefangenschaft lebendes Grauhörnchen-Paar aus – das sich fleißig vermehrte. In den folgenden 50 Jahren, ließen immer mehr Menschen die aus Amerika importierten Nager auf die Wildnis los – und auf das rote Eichhörnchen. Mittlerweile sind sie in Großbritannien und Irland weiter verbreitet als ihre europäischen verwandten.

Das Problem dabei: Auch 135 Jahre nach ihrer Einbürgerung tragen die Grauhörnchen immer noch Krankheitserreger aus ihrer alten Heimat in sich, gegen die das Immunsystem der roten Eichhörnchen nicht viel machen kann. Die grauen Nager können Erreger wie das Squirrelpox-Virus in sich tragen, ohne Symptome zu haben. Doch die roten Eichhörnchen kommen damit nicht zurecht. Das verkleinert ihre Population.

Zugleich sind Grauhörnchen wahre Reproduktionskünstler: Es braucht viel weniger Grauhörnchen, um eine Population aufzubauen, als das bei den Eichhörnchen der Fall ist. Deshalb breiten sich die grauen Puschelschwänze schneller aus als ihre europäischen Verwandten: Sie futtern und nagen sich durch das Angebot, und die Eichhörnchen können sich dagegen nicht so recht behaupten. Außerdem scheinen die grauen Hörnchen cleverer zu sein als ihre roten Cousins: Dafür testeten Forscher von der Universität Exeter die Problemlösungsfähigkeiten der Grauhörnchen: Wenn die Tierchen ein Rätsel gelöst hatten, bekamen sie eine Haselnuss. Bei einem Versuch mussten sie für die Nussbelohnung lediglich eine Plastikklappe öffnen. Bei einem anderen musste sie für die Nuss etwas mehr tun und ein bisschen um die Ecke denken. Schnell zeigte sich, dass die roten Eichhörnchen zwar ausdauernder waren, die Gauhörnchen aber besser darin waren, die Strategie zu ändern, wenn eine Idee nicht zielführend war. Während 91 Prozent der Grauhörnchen auch das komplexere Rätsel lösen konnten, gelang das nur 68 Prozent der roten Eichhörnchen. Diese Problemlösefähigkeit könnte einer der Gründe sein, warum sich die Grauhörnchen so gut gegen ihre einheimischen Cousins durchsetzen konnte.

Widerstandsfähige Nager

Grauhörnchen

Außerdem sind Grauhörnchen robuster gegen kälteres Wetter und sind wanderfreudiger als Eichhörnchen. Weder Berge noch Flüsse halten sie auf – und noch nicht mal völlig zubetonierte Straßenschluchten halten Grauhörnchen davon ab, es sich gemütlich zu machen. Das bringt den Grauhörnchen einen entscheidenden Vorteil: Während Eichhörnchen am liebsten auf Bäumen leben, kommen Grauhörnchen auch in ungemütlicheren Gefilden gut zurecht. Deshalb konnten sie sich im vergleichsweise baumarmen Irland bereits gegen die Eichhörnchen durchsetzen. Zugleich schrumpft der Lebensraum der Eichhörnchen durch Bebauung und Flächenversieglung immer weiter.

Während rote Eichhörnchen echte Feinschmecker sind, stürzen sich die Grauen auch auf Samen und Nüsse, die für die Roten noch nicht reif genug sind, um sie zu verdauen. So schnappen sich die Grauhörnchen das Futter früher und die Eichhörnchen gehen leer aus. Doch die grauen Eichhörnchen sind nicht nur eine Gefahr für die roten Eichhörnchen: Auch Bäume, Vogelhäuschen und Vogelnester plündern die Nager aus. Und wenn sie dabei mal nicht satt werden, dann bedienen sie sich auch an den Mülltonnen der Menschen oder demolieren Hausdächer auf der Suche nach Nahrung.

Vor allem in Irland und Großbritannien ist das Grauhörnchen auf dem Vormarsch. In Deutschland gibt es momentan kaum Hinweise auf freilebende Grauhörnchen oder, dass sich diese hier zeitnah breit machen werden. Wer heute in Deutschland graue Eichhörnchen entdeckt, hat es meist mit einer grauen Variante des einheimischen Eichhörnchens zu tun.

Doch wer jetzt denkt, „Was für ein gemeines, graues Hörnchen, das rote Eichhörnchen ist so viel netter“, liegt falsch: Denn auch das rote Eichhörnchen ist deutlich weniger nett als sein putziges Äußeres und glauben macht: denn Forschende stellten fest dass die Männchen der Rothörnchen gelegentlich fremde Baby-Eichhörnchen totbeißen und aus dem Nest werfen. Das gelte vor allem in Jahren, in denen es genügen zu Fressen gibt. Die Forschenden vermuten, dass in diesen Jahren die Weibchen häufiger zwei Mal werfen und die Männchen so sicherstellen wollen, dass möglichst viele der Nachkommen von ihnen abstammen.  Denn wenn ein Weibchen keine Babys mehr hat, stellt sie die Milchproduktion ein und ist wieder bereit sich zu paaren. Außerdem fressen die recht kleinen Rothörnchen manchmal auch kleine Kaninchen, Küken oder Vogeleier. Leider ist das Rothörnchen also nicht so niedlich, wie wir gerne glauben würden. Eine moralische Bewertung ist im Tierreich allerdings müßig.
 

Was ist also zu tun, um das rote Eichhörnchen zu schützen?

Baummarder

Froschende hoffen, dass der Baummarder die neue Population der Grauhörnchen dezimieren kann

Doch nicht nur deshalb raten Tierschützer davon ab, die Invasoren einfach zu erschlagen, wie es eine Zeitlang in Großbritannien gemacht wurde. Besser sei es, das natürliche Gleichgewicht wieder herzustellen: Der Baummarder, der ebenfalls in Irland heimisch ist, hat früher gerne die roten Eichhörnchen auf seinen Speiseplan gesetzt. Da die grauen größer sind, sind sie ein lohnenswerteres Ziel. Deshalb hoffen Forschende, dass der Marder die neue Population nachhaltig dezimieren und damit auch die Ausbreitung der eingeschleppten Viren zieren kann. Prinz Charles hat sich zusätzlich dafür ausgesprochen, Grauhörnchen mit Empfängnis verhütenden Mitteln auszustatten. Doch solange sich die Wirkung von Mardern und Verhütung noch nicht 100-prozentig wissenschaftlich nachweisen können, werden selbst ernannte Naturschützer weiterhin auf eigene Faust Jagd auf die grauen Eichhörnchen machen.

Die Forschung arbeitet an mehrere wissenschaftlichen Lösungen, aber keine davon ist bereit für einen Feldversuch. Biologen und sogar Naturschützer sind sich einig: Wenn wir das rote Eichhörnchen retten wollen, dann muss das Graue in seine Schranken gewiesen werden. Und da das Grauhörnchen von Schranken nicht allzu viel hält, müssen gröbere Schritte her: Manche Naturschutz- und Forstverbände sprechen sich dafür aus, das Grauhörnchen auszurotten. Gartenbesitzern raten Experten, die grauen Eichhörnchen nicht zu füttern und Vogelfutterstellen „eichhörnchensicher" zu machen. Sollten sich ausschließlich rote Eichhörnchen am Vogelfutter bedienen, dann sollte das Futterhäuschen regelmäßig desinfiziert werden, indem eventueller Schmutz mit Haushaltsreiniger entfernt wird. Danach sollten ein Breitbanddesinfektionsmittel oder eine fünf- bis zehn-prozentigen Bleichlösung für mindestens 15 Minuten einwirken und mit kaltem Wasser abgespült werden. So wird vermieden, dass sich Krankheiten zwischen Vögeln und anderen Wildtieren an Futterstellen verbreiten können – die die roten Eichhörnchen krank machen könnten.

Quellen: Bilder: Depositphotos/seawhisper, irartstudio, OndrejProsicky, Text: Ines Maria Eckermann