Die Pille im Jahr 2021 – Es geht um Selbstbestimmung!
In den vergangenen Jahren haben viele Menschen angefangen, sich bewusster mit dem Thema Verhütung zu beschäftigen – und ganz besonders die Antibabypille zu hinterfragen. Auch wenn es berechtigte Kritik an der Pille gibt, sollte bei der Verhütung vor allem eins im Vordergrund stehen: Die körperliche Selbstbestimmung.
Ist die Pille wirklich so schlimm?
In Deutschland verhüteten im Jahr 2019 47 Prozent der sexuell aktiven Personen mittels Antibabypille – das sind sechs Prozent weniger als noch 2011. Und die Tendenz sinkt weiter: Vor allem junge Menschen lehnen das hormonelle Verhütungsmittel zunehmend ab.
Und trotzdem bietet die Pille auch weiterhin Vorteile – der wichtigste darunter ist wahrscheinlich dieser: Mit einem Pearl-Index* von 0,1 bis 0,9 zählt sie zu einer der zuverlässigsten Verhütungsmethoden. Menschen, die an Endometriose oder besonders starken Regelschmerzen leiden, können diese mit der Pille besser in den Griff bekommen. Und nicht zuletzt kann sie das Hautbild verbessern und bei starker Akne unterstützend wirken.
Die Nachteile der Antibabypille
Doch auch auf der Contra-Seite gibt es zahlreiche Argumente, die in den letzten Jahren – völlig zurecht – immer mehr Gehör gefunden haben: Die Pille hat sehr viele, teilweise starke Nebenwirkungen, darunter ein erhöhtes Thromboserisiko, Stimmungsschwankungen und sogar Depressionen. Zudem greifen die in der Antibabypille enthaltenen Hormone in den Körper und den Zyklus ein und können die Libido verändern. Und auch bei der Anwendung gibt es einiges zu beachten: Man muss sie regelmäßig einnehmen, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten können auftreten und bei Durchfall oder Erbrechen einige Zeit nach der Einnahme ist der Schutz nicht mehr gewährleistet.
Nachhaltige Verhütung: Mit der Pille nur schwer möglich
Wenn man zudem noch ein Mensch ist, der großen Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz legt, hat man es gleich doppelt schwer, denn die Kritik kommt aus verschiedenen Richtungen: Dann hört man nicht nur immer wieder, dass die Pille schlecht für den Körper sei, sondern auch für die Umwelt. Neben der großen Menge an Verpackungsmüll, die bei der Pille anfallen, können Rückstände der Hormone, die über den Urin ausgeschieden werden, in Flüsse und Meer und dann wieder ins Grundwasser gelangen – und dabei Mensch und Tier belasten.
Es gibt durchaus Verhütungsmethoden, die weitaus nachhaltiger sind als die Pille. Dazu zählen unter anderem die Natürliche Familienplanung (NFP), bei der die fruchtbaren Tage mittels Temperaturmessung und Zervixschleimbeobachtung bestimmt werden oder der Einsatz von Kupferspiralen und -ketten, die nicht nur ohne Hormone auskommen, sondern auch über mehrere Jahre in der Gebärmutter bleiben – regelmäßiger Verpackungsmüll fällt somit nicht an.
Aber was ist, wenn keine dieser Methoden für mich in Frage kommt?
60 Jahre Antibabypille: Die Empörung war schon immer groß
Mit der Verhütung ist es offenbar ein wenig so: Wie man es auch macht, irgendjemand wird sich immer daran stören. Das Thema scheint nie frei von Empörung zu sein – Empörung über die Entscheidung einer anderen Person.
Als die Pille vor ziemlich genau 60 Jahren – im Juni 1961 – in Deutschland auf den Markt gebracht wurde, war dies ein großer Schritt für die Selbstbestimmung der Frau. Doch nicht alle waren von dieser Entwicklung begeistert: Konservative Politiker und die katholische Kirche kritisierten das neue Verhütungsmittel und besonders diejenigen, die es einnahmen.
Unverheiratete Frauen, die die Pille nehmen wollten, wurden schief angeblickt, man befürchtete einen Sittenverfall und die Pille wurde zunächst nur an bereits verheiratete Frauen mit mehreren Kindern verschrieben. Bis zur vollständigen gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Verhütungsmethode dauerte es einige Jahre.
Verhütung: Ein persönlicher Erfahrungsbericht
Zu meiner Schulzeit war es bereits vollkommen normal – und auch erwartet – mit der Pille zu verhüten: Spätestens mit dem ersten festen Partner ließen sich heterosexuelle Frauen die Antibabypille verschreiben und nicht selten war starke Akne der Hauptgrund für den Wunsch nach der Pille.
Ich persönlich habe nach einigen Jahren die Pille abgesetzt und nur noch mit Kondomen als einzige Methode verhütet – und zum ersten Mal selbst bemerkt, wie sehr diese Entscheidung anscheinend nicht ausschließlich meine eigene ist.
Die Leute reagierten damals schockiert und warfen mir mangelndes Verantwortungsbewusstsein und Sorglosigkeit vor, denn obwohl Kondome als einziges Verhütungsmittel auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen, bergen sie durchaus die Gefahr für viele Anwendungsfehler – der Pearl-Index von 2 bis 12 spiegelt das sehr gut wider.
Und dennoch: Ist es nicht meine eigene Entscheidung, wie ich verhüte? Mein Gedanke war in erster Linie: Warum genau ist das euer Problem?
Ähnlich wie bei anderen Lebensentscheidungen hat auch bei der Verhütung anscheinend jeder ein Wörtchen mitzureden. Wenn man den Leuten erzählt, dass man Vegetarier oder Veganerin ist, werden alle ganz plötzlich zu Ernährungswissenschaftlern – und wenn man ihnen erzählt, wie man verhütet, werden alle zu Medizinern und gleichzeitig auch noch zu Experten für das Leben einer anderen Person.
Daher kann ich das Gefühl der Menschen gut verstehen, die heute noch die Pille nehmen, in einer Zeit, in der die Kritik an der Pille wächst und für die meisten Menschen die negativen Effekte und Gefahren dieser Verhütungsmethode überwiegen.
Die Pille: Selbstbestimmung war der Grundgedanke
Als die Pille auf den Markt kam, war das Ziel, Frauen mehr Selbstbestimmung in der Familien- und Lebensplanung zu ermöglichen – und genau das ist auch gelungen. Es ist gut, sich immer wieder an diesen Selbstbestimmungsgedanken zu erinnern, wenn man über Verhütungsmethoden diskutiert. Denn in unserer Gesellschaft sollte jede Person das Recht haben, frei darüber zu entscheiden, was mit ihrem Körper passiert. Das schließt die freie Wahl der Verhütungsmethode mit ein.
Egal, worum es geht: Wir können die Situation anderer Menschen, anderer Frauen, nicht beurteilen. Eine Entscheidung, die ich treffe, mag für andere Frauen nicht möglich sein. Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Gesundheit sind zweifellos wichtige Themen, vor allem in unserer heutigen Zeit, aber ist es wirklich mein Recht, die Entscheidung anderer Frauen in Sachen Verhütung zu bewerten?
Nicht jede Frau hat die richtigen Lebensumstände, um Zeit und Energie für NFP aufzubringen. Nicht jede Person hat die finanziellen Mittel für vegane und nachhaltige Kondome. Nicht jede Frau möchte die starken Regelschmerzen und -blutungen auf sich nehmen, die eine Kupferspirale mit sich bringen kann. Und nicht jede Person möchte mit starker Akne leben. Und überhaupt: Weiß ich denn, ob die andere Person nicht auf Empfehlung einer Ärztin die Pille nimmt? Weiß ich, ob sie nicht alle anderen Optionen ebenfalls durchdacht hat? Und selbst wenn nicht – habe ich das zu verurteilen?
Wenn ständig die eigene Lebensrealität und die eigenen Entscheidungen in Frage gestellt und bewertet werden, ist das extrem belastend – ob es nun um Ernährung oder Verhütung geht.
Deswegen sollten wir uns immer wieder sagen: Selbstbestimmung war 1961 das zentrale Thema und sollte es heute immer noch sein.
Verhütung: Pille & Co. in der Zukunft
Nichtsdestotrotz ist es unerlässlich, über die Risiken von Medikamenten zu sprechen und über Nebenwirkungen aufzuklären. Dass man als Frau jahrelang Hormone nimmt und allein für die Verhütung zuständig ist, darf niemals als gegeben hingenommen werden. Ärztinnen und Ärzte müssen informieren und Alternativen aufzeigen und wir dürfen nicht aufhören, zu hinterfragen.
Es ist wichtig, in Sachen Verhütung weiter zu forschen – an neuen Methoden und auch an Verhütungsmitteln für Männer. Bis dahin sollte die Entscheidung jeder Frau selbst überlassen werden – und darüber hinaus auch.
*Der Pearl-Index einer Verhütungsmethode gibt an, wie viele von hundert Frauen innerhalb eines Jahres unter Verwendung dieser Methode schwanger werden. Ein Pearl-Index von 0,1 bei der Antibabypille bedeutet also: Eine von 1000 Frauen wird in einem Jahr trotz Einnahme der Pille schwanger.
Quelle: red, Bild: Depositphotos: Towifqu, imagepointfr, kittima05, Autorin: Denise Jurczok
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